Text von Thomas Dörschel
Text von Thomas Dörschel
Von Würmern und Planeten
Beobachtungen zum Werk von Andreas Rohrbach
Der Bildhauer Andreas Rohrbach ist bei Betrachtung des gegenwärtigen Kunstbetriebs ein anachronistischer
Künstler. Es fällt schwer, seine Werke einer bestimmten Dekade des zwanzigsten oder einundzwanzigsten
Jahrhunderts zuzuordnen. Und genau diese Schwierigkeit ist die Besonderheit sämtlicher Arbeiten, die sich durch
das gesamte Œuvre zieht. Die Arbeiten, die gleichzeitig aktuell als auch zeitlos wirken, haben eine weitreichende
Reminiszenz. Neben den sich augenscheinlich aufdrängenden Bezügen zu den Anfängen der künstlerischen
Darstellung von Naturbeobachtungen in der Spätrenaissance, wie den Darstellungen von Maria Sibylla Merian
und naturhistorischen Kupferstichen (1) , sind ebenso zeitgenössische Tendenzen als stilistisches Mittel in das
Werk von Andreas Rohrbach eingeflossen, die er sich aber inhaltlich auf völlig eigenständige Weise zu nutzen
macht.
Sein Gesamtwerk ist geprägt von seiner Berufung als Bildhauer im klassischsten Sinne, seine gestalterischen
Mittel sind aber nicht hierauf beschränkt. Die Arbeit am Stein kann zweifelsohne als die unmittelbarste
Umsetzung der Arbeiten von Andreas Rohrbach gesehen werden, die direkte Übersetzung einer körperlichen
Idee in Granit, Marmor oder Alabaster. Der Künstler führt seine Arbeiten aber auch in plastischer Gestalt aus; hier
ist auf seine Arbeiten aus Bronze, Peddigrohr, Kunststoffen und jüngst auch Glas zu verweisen. Gemälde und
Zeichnungen gehören auch zu gestalterischen Mitteln, die als eigenständige Arbeiten stehen, allerdings den
körperlichen Bezug niemals verleugnen, sondern als Skizzen für skulpturale Arbeiten gesehen werden müssen.
Der Bezug auf die Natur in den Werken von Andreas Rohrbach ist eine Konstante, die sich aber als
gestalterisches Mittel hinter der Darstellung selbst zurücknimmt. Vordringlich ist die Ironie, eine Skurrilität oder
eine sich dem Betrachter aufzwingende Obskurität des Werks, die sich aus dem Umgang und der Verfremdung
der Natur ergibt. Obskurität bezeichnet eine Verdunkelung im übertragenen Sinne einer Unklarheit. Das
zugehörige Adjektiv obskur wird im Deutschen seit dem siebzehnten Jahrhundert in der Bedeutung „dunkel,
unbekannt, verdächtig, [von] zweifelhafter Herkunft“ verwendet(2). Genau hier setzt der Künstler im semantischen
und unmittelbaren Sinne an. Sein Werk „Searching for Adventures“(3) spielt direkt auf dieses Anliegen an.
Kartoffelbilder von Andreas Rohrbach gehören zu frühen Arbeiten des Künstlers. Wesentliche Basismotive waren
seit dem immer wieder Würmer, Larven, Schnecken, Schlangen, Gras, Fell, Federn und Blasen („bobbles”). Auf
den ersten Blick mutet es ungewöhnlich an, sich mit im allgemeinen und historischen Ansehen niederen Wesen
und einfachsten Gegenständen anstelle komplexerer Themen zu beschäftigen. Es scheint allerdings, als ob der
Künstler dies „nur“ als Grundlage nutzt. Die Basis der Werke ist meist eine einfache Ausgangslage, um den
Betrachter auf den eigentlichen Inhalt aufmerksam zu machen und ihn vom Wesentlichen nicht abzulenken.
Diese vordergründig primitiven Wesen und Dinge haben eine bedeutsame Gemeinsamkeit: alle haben über die
letzten Jahrhunderte ihre Reputation erfahren. Als Mitte des sechzehnten Jahrhunderts die Kartoffel nach Europa
kam, galt sie als "Inkarnation des Bösen" und zeitweise als Auslöser von Pest und Lepra; auch wurde sie wegen
ihrer aphrodisierenden Wirkung von der Kirche abgelehnt; später linderten diese Pflanzen Hungernöte und
bewährten sich bis heute. Würmer und Schlangen wurden jahrhundertelang als niedere Wesen gesehen, die als
Parasiten und unnütze Tiere nur Unheil bringen, obwohl bekannt ist, dass man beispielsweise Blutegel zu
medizinischen Zwecken schon im zweiten Jahrhundert vor Christi in Europa nutze.
Der Hintergrund des vornehmlich simplen Motivs ist der Einstieg in viele Themen der Kunst von Andreas
Rohrbach. Der Künstler schafft sich den Ausgangspunkt, um sein romantisches Anliegen zu formulieren. Seine
Themen könnten nicht essentieller sein: es handelt sich um Licht und Wärme, Nähren, Bewegung und
Fortpflanzung, konzentriert formuliert um Leben, Liebe und Tod. Es handelt sich aber nie um den historischen,
naturwissenschaftlichen Ansatz der Beschreibung eines statischen Moments oder der Erforschung eines
gegenwärtigen Zustands. Vielmehr müssen die Arbeiten als Standbild eines fließenden Bewegungsablaufs
verstanden werden.
Einen eindeutigen Hinweis geben hierauf auch Figurationen, die die Natur den Spezies zur Erhaltung gegeben
hat (hier kann auf zahlreiche Arbeiten mit Brüsten und phallusgleichen Formenverwiesen werden). In einigen
Arbeiten geht der Künstler noch einen Schritt weiter. Er überträgt den körperlichen Ansatz auch auf anorganische
Gegenstände. Was bei den häufig fiktiven Pflanzen und Lebewesen funktioniert, wird auf anorganische Materie
übertragen. Die Bewegung und Vervielfältigung funktioniert auch in der Sphäre von Planeten, die parallel zu der
uns bekannten Welt agieren können. Hier schließt sich der Kreis; von der vornehmlich einfachen Bildgestaltung
über einer komplexen Hintergründigkeit gelangt man zu einer vermeintlich einfachen und daher genialen Lösung,
der man sich aber nicht allzu sicher sein sollte. Die Auflösung als Erlösung des Betrachters wird nicht
versprochen.
Als weiteren Werkzykus kann man die architektonischen Arbeiten sehen. Hierzu zählen Badewannen,
Wasserbecken, Lampen, „Eckskulpturen“ und nicht zuletzt ein geplantes Projekt der Aushöhlung eines
stillgelegten Marmorsteinbruchs auf der Insel Thassos zur Einrichtung einer kulturellen Akademie. Mit seinen
architektonischen Arbeiten nimmt der Künstler einen Eingriff in die uns so vertrauten Räume vor und bricht
allgemein vertraute, aber nicht mehr hinterfragte Raumempfindungen auf. Er schafft damit Skulpturen, die
physisch in Räume eindringen und sich nicht nur von Flächen erheben und ausdehnen. Badewannen und mit
Olivenöl getränkte Ofensteine bilden eine Brückenzwischen den Werkzyklen, sie stehen als Synonym für Wärme
und Wohlbefinden.
Hier kann beispielhaft auf den Kupferstecher Jakob Sturm, Insekten-Cabinet, nach der Natur gezeichnet und
gestochen, 1791; derselbe, Deutschlands Flora in Abbildungen nach der Natur mit Beschreibungen, 1796, den Maler
und Kupferstecher Georg Wolfgang Knorr, der Scheuchzers Physica sacra (1731) illustrierte und
naturwissenschaftliche Forscher und ihre Werke verwiesen werden, wie Friedrich Heinrich Wilhelm Martini,
zwölfbändiges Conchylien-Cabinet (ab 1769); Georg Eberhard Rumpf, Amboinschen Raritätenkammer (ab 1660);
ebenso. Siehe auch Filippo Buonanni (1638-1725), Jesuitenpater in Rom und Schüler Athanasius Kirchers, Recreatio
mentis et oculi (1681).
Bedeutung und Entlehnungsgeschichte des Adjektivs nach Duden „Etymologie“ – Herkunftswörterbuch der
deutschen Sprache, Dudenverlag, 1989 [sic.]
Searching for Adventures, Andreas Rohrbach 2008, Buchstaben, genähter Kunststoff, Maße variabel.
(1)
(2)
(3)