ANDREAS ROHRBACH
Text von Dr. Sabine Zimmermann
Prolog zur Ausstellung AMOR FATI von Andreas Rohrbach in der Weißfrauen Diakoniekirche in Frankfurt . Guten Abend liebe Freundinnen und Freunde, Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, Fatalistinnen und Fatalisten. Fatalismus (bedingungsloser blinder Schicksalsglaube) fatalistisch (ergeben, schicksalsgläubig) Fatalität (Schicksalsschlag, Unheil, Mißgeschick) fatal (schicksalsschwer, verhängnisvoll) fatalerweise (verhängnisvoll, folgenschwer) fatieren (bekennen, Österr.: eine Steuererklärung abgeben) Fatum - Lat.: Götterspruch, Schicksal, Bestimmung Amor - Lat.: Liebe AMOR FATI: Liebe zum Schicksal. Was könnte den Künstler Andreas Rohrbach dazu veranlasst haben, seine Ausstellung AMOR FATI zu nennen, wo er doch erklärtermaßen kein Nietzsche- liebhaber ist? Philosophen denken bei AMOR FATI sofort an Friedrich Nietzsche. Er thematisiert mithilfe dieser Formel die Liebe zum Leben. Sie bezeichnet für ihn ein bedingungsloses entschiedenes Ja zu all dem Widersprüchlichen, das so ein Leben, wenn man genauer hinschaut, nun eben enthält. In diesem Ja erfährt man sich selbst - so Nietzsche - als den wertschaffenden Grund seines Daseins. Während Nietzsche seinen philosophischen Entwurf an der rauschhaften Figur Dionysos orientiert, fassen die Stoiker wie Marc Aurel oder Seneca den Begriff FATUM ganz anders. Für den beispielhaften Stoischen Weisen erscheint die Materie der Welt durchdrungen von einem harmonisch wirksamen Prinzip schicksalhafter Vorsehung. Mit welcher Einstellung wir dann dieses FATUM annehmen, so die Auffassung der Stoiker, wirkt sich auf unsere Lebensfreude aus. So unterschiedlich die Rahmung der beiden eben genannten Auffassungen ist: - bei Nietzsche ein rauschhafter Schöpfer-Zerstörer als einzige Ursache seiner selbst - bei den Stoikern die Gewißheit eines Eingebettet- Seins in ein kosmisches Prinzip - als gleichermaßen grundlegend für beide Auffassungen zeigt sich die Wirksamkeit eines gemeinsamen Brennpunktes: nämlich jenes AMOR FATI als eine persönliche Haltung. In der Weise wie wir annehmen, was uns widerfährt, produzieren bzw. konstruieren wir sinnhafte Anschlüsse und wir modulieren dabei das, was wir wahrnehmen und erkennen. Wir teilen auf, wir unterscheiden: wir trennen und verbinden. In dieser Beobachtung lässt sich eine Grundfrage der Ausstellung AMOR FATI des Künstlers Andreas Rohrbach verorten. Die Frage lautet: Worin besteht die Praxis der Künstlerin/des Künstlers? Anders gefragt: Worin besteht ein schöpferischer Entstehungsprozeß? Noch einmal anders gefragt: Wie wird eine unvoreingenommene Wahrnehmungs-Erfahrung im Umgang mit der Welt überhaupt möglich? 2 Wie ist es möglich, das zielorientierte Handeln zu vergessen, das unseren funktional ausgerichteten Alltag bestimmt? In diesem Zusammenhang zeigt sich „Vergessen“ dann plötzlich auch als Bestandteil von Denken. Die Frage nach dem künstlerischen Entstehungsprozeß ist der erste der beiden Aspekte, die ich im Hinblick auf Andreas Rohrbachs Ausstellung AMOR FATI heute hier anspreche - denn die Elemente seiner Ausstellung sind in einer Weise angeordnet, die eine Erfahrung des Prozesses ermöglichen, den sie gleichzeitig thematisieren - eben jenen Prozeß von schöpferischem Tun und Lassen. Gegeben sind: Eine Durchgangssituation: eine kreisförmig konstruierte beschnitzte - farbig gefasste - Passage aus Weihmutskiefer, die den Schriftzug AMOR FATI trägt. Jede/r muß da durch. Ein Raum, in dem aus Rubinien-Holz-Latten geschnitzte Begriffe verteilt sind. Die Anordnung der Elemente definiert diesen Raum und erzeugt Allianzen von Licht und Schatten mit der Umgebung. Die Begriffe - um einige zu nennen - sind z. B.: Freiheit, Liebe, Anfang, Ende, Einfall, Zufall, Vergessen … Im Zentrum dieser Konstellation - dieser Denkfigur - dieser begehbaren Raumstruktur - steht der Begriff ‚Natur‘ in einem zerbrechlich wirkenden Aufbau und erweckt den Eindruck möglicherweise zu stürzen. Damit komme ich zum zweiten ebenfalls grundlegenden Aspekt von Andreas Rohrbachs künstlerischer Arbeit: dem Motiv ‚Natur‘. Es bewegt seine Arbeit in sehr unterschiedlichen Formen seit vielen Jahren: z. B. in Form von tonnenschweren Sprühskulpturen aus Basalt, die im Freien feine Wassernebel verteilen, in denen sich das Licht bricht oder aber auch in Form von Zeichnungen von Vogelstimmen oder von Federn. Andreas Rohrbach begreift ‚Natur‘ als das Element des AMOR FATI schlechthin. Warum? Die Natur nimmt alles an. Die Natur nimmt alles in sich auf. Ihre Bewegung ist eine des Pulsierens, des Umfangens, des Atmens und des Balancierens. Die Natur verändert sich beständig, indem sie alles in sich aufnimmt, ohne sich dabei einer Moral zu unterwerfen. Die Natur ist ohne Mitgefühl. Um jetzt hier zu stehen haben wir einen Durchgang passiert: eine beschnitzte Holzkonstruktion, die eine Schwelle markiert. Diese Passage erfordert einen Moment leiblicher Aufmerksamkeit: rechtes Bein, linkes Bein - ein spürbarer Übergang von Draußen nach Drinnen. Wie wir den Raum betreten und durchqueren entscheidet, wie das Gegebene seine Wirkung entfaltet. Welche Details wir wahrnehmen und welche der vorhandenen Elemente einen Zusammenhang in unserer Wahrnehmung eingehen bewirkt, was wir erkennen. Jede räumliche Bewegung stellt eine kleine persönliche Entscheidung dar und wird zu einer Handlung. Eine Bewegung wird zu einem Eingriff mit Folgen für das, was wir wahrnehmen. In diesem Wirkungsgefüge lässt sich jene mit Andreas Rohrbach anfangs gestellte Frage nach der künstlerischen Praxis verorten. Daß wir in der Weise wie wir wahrnehmen das, was wir wahrnehmen, mit-gestalten ist nun freilich keine herausragende Erfindung. Denn wenn man genauer hinschaut, tun wir das eigentlich immer. 3 „Immer“ d.h. im zielorientierten Alltag sind wir freilich davon so eingenommen, daß wir diese Prozesse in den seltensten Fällen bemerken. Oft handeln wir automatisch und meist vergessen wir dessen gewahr zu werden, daß es womöglich auch ganz anders sein könnte, als wir meinen, daß es ist. Was ist denn nun das Besondere an der Kunst von Andreas Rohrbach? Und womöglich ist es eben auch das, was Kunst ausmacht? Verbringt man etwas Zeit in und mit dieser Arbeit AMOR FATI, dann kann es passieren, daß das Ineinander-Wirken von Wahrnehmen, Denken und Fühlen in den Blick gerät, das unsere lebendige Erfahrung der Welt be-ständig motiviert und trägt. Die künstlerische Arbeit von Andreas Rohrbach reflektiert diesen be-ständig wirksamen Spielraum und bietet an, ihn wahrzunehmen. Seine Kunstwerke ermöglichen eine Erfahrung dessen, daß uns dieser Spielraum innewohnt. Wie schön, daß Kunstwerke uns anbieten, das wahr zu nehmen und zu er-innern, was wir beständig vergessen, weil wir es für selbstverständlich halten, ohne es verstanden zu haben. Und wie schön, daß diese Ausstellung von Andreas Rohrbach uns anbietet, dabei die Frage nach Freiheit nicht nur zu denken, sondern eben auch wahr zu nehmen. AMOR FATI - Andreas Rohrbach - Willkommen und viel Freude in der Ausstellung!
Text von Prof. Dr. Sabine Zimmermann
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